Green New Deal (GND) und Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) - ein gemeinsamer Weg? (Artikel)

Published on 23 January 2024 at 10:11

Die GNDE-Bewegung und die GWÖ sind sich nach unserem persönlichen Verständnis in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung bereits einig. Sie zeigen nicht nur Versäumnisse in Politik und Gesellschaft oder Lösungsansätze für Teilbereiche der aktuellen Krisen der Weltgesellschaft auf, sondern wollen umfassende Konzepte zur Bewältigung der globalen Krisen bieten.

Das gemeinsame Fundament, das sich die GNDE-Bewegung und die GWÖ unserer Einschätzung nach teilen, ist zweifelsohne die Erkenntnis, dass die zentrale Wurzel der sich zuspitzenden Polykrise aus drohender Klimakatastrophe, (globaler und regionaler) sozialer Ungleichheit, gesellschaftlicher Polarisierung, und militärischer Gewalt ein dysfunktionales Wirtschaftssystem ist, das zu einer zerstörerischen Fehlallokation von Macht und Wohlstand geführt hat. Zur Überwindung der genannten Menschheitsherausforderungen ist es unumgänglich, diesen Marktkapitalismus in seiner bestehenden Form in ein System des gemeinwohlorientieren Wirtschaftens zu überführen. Einig sind sich die GNDE- und GWÖ-Bewegung überdies darin, dass diese Überführung nur im Sinne einer Evolution und keinesfalls als disruptive Revolution erfolgsversprechend ist.

Günter Grzega,

Botschafter GWÖ

Jonas Plattner, 

Mitbegründer der Initiative "Mission Just Transition"

Sowohl GNDE-Aktive, als auch die Bewegung der GWÖ befürworten Proteste und öffentliche Kritik an den zu langsamen und manchmal auch kontraproduktiven Entscheidungen der politisch Verantwortlichen zum Klima- und Umweltschutz. Es ist gut, dass diese Proteste auch laut, unangenehm und aufrüttelnd für unsere Gesellschaft sind. Aber aus Sicht der beiden Bewegungen genügen diese Proteste als Formen des zivilgesellschaftlichen Aktivismus nicht, denn das Ziel sowohl von GWÖ als auch vom Green New Deal liegt nicht nur darin Alarm zu schlagen. Richtigerweise weisen beide Bewegungen darauf hin, dass, im Bilde gesprochen, ein Feueralarm nur wirksam sein kann, wenn es auch Fluchtwege gibt, die für alle sichtbar sind. Diese „Fluchtwege aus der Klimakrise“ erfordern eine Strategie, die klar aufzeigt, wie ein schneller, sozial gerechter und wirtschaftlich nachhaltiger Wandel in der Praxis aussehen könnte. Das Aufzeigen von realistischen Umsetzungsmöglichkeiten dieser überlebensnotwendigen Strategie ist das erklärte Ziel von GNDE wie von GWÖ.

Ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem muss aus der heuristischen Bipolarität zwischen zügellosem, neoliberalem Kapitalismus und gleichmacherischen, freiheitsverneinenden Kommunismus ausbrechen. Wir brauchen ein System, das Kooperation trotz Marktkonkurrenz stärkt, das marktwirtschaftliches Handeln kompromisslos mit drei Fragen verbindet, die in unserer neoliberalen Gesellschaft fast nostalgisch klingen, aber trotzdem für die Zukunft der Menschheit unumgänglich sind:
Dient es den Menschen? Dient es der Umwelt? Dient es dem Frieden?

Dieses Modell gibt es seit einigen Jahren, nämlich das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), dessen Haupt-Initiator der Wissenschaftler Christian Felber ist. 2010 haben Christian Felber und 15 Unternehmerinnen und Unternehmer dieses Modell öffentlich gemacht, und zwar als Graswurzelbewegung von unten – eine Bewegung mit Praxisbezug, die nicht auf Vorgaben der Eliten in Wissenschaft und Politik wartet, sondern in der Praxis neue Wege ökonomischen Handelns aufzeigt. Dabei schlägt die Gemeinwohl-Ökonomie nichts anderes vor, als die Umsetzung der Hauptzielsetzung aller demokratischen Verfassungen weltweit, nämlich den Auftrag an die Ökonomie, das Gemeinwohl – also das Wohl und die allmähliche Verbesserung der Lebenshaltung aller Bevölkerungsschichten – zu fördern. Die Grundsätze der GWÖ lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Soziale Sicherungssysteme schützen vor Absturz und Ausgrenzung.
  • Öffentliche Güter ergänzen die privaten.
  • Die Startchancen sind durch ein öffentliches Bildungs- und Gesundheitssystem sowie die Beschränkung des Erbrechts gleichmäßig verteilt.
  • Die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist begrenzt.
  • Privateigentum, Gemeinschaftseigentum, Gesellschaftseigentum und Naturnutzungsrechte koexistieren maßvoll.
  • Unternehmen werden ab einer bestimmten Größe am weiteren Wachstum gehindert.
  • Handelsräume werden durch gemeinsame Arbeits-, Sozial-, Steuer-, Umwelt-, Transparenz- und Antikorruptionsstandards geschützt (Fairhandel statt Freihandel).

Der individuelle Nachweis der Beachtung dieser Grundsätze wird durch eine auditierte Gemeinwohl-Bilanz (GWB) erbracht. In dieser GWB werden, auf Basis der Gemeinwohl-Matrix, die Werte

  • Menschenwürde,
  • Solidarität und Gerechtigkeit,
  • ökologische Nachhaltigkeit,
  • Transparenz und Mitentscheidung,

mit den Berührungs-Gruppen der bilanzierenden Unternehmen und Gemeinden, also

  • Lieferanten,
  • Eigentümern und Finanzpartnern
  • Mitarbeitenden,
  • Kundinnen und Kunden sowie Mitunternehmen und
  • dem gesellschaftlichen Umfeld

verknüpft und nach demokratisch erarbeiteten Kriterien bewertet. Dabei ist diese Bilanzierung kein starres, sondern ein „atmendes“ System, entwickelt sich also mit den Erkenntnissen aus der Praxis Jahr für Jahr weiter. Hier könnten die Ideen der GNDE-Bewegung Eingang finden. Ziel ist vor allem, dass das derzeit neoliberale System der Belohnung für unethisches Handeln – zum Beispiel höhere Gewinne durch auf Kosten der Gemeinschaft verursachte Umweltschäden oder Ausbeutung abhängig Beschäftigter und damit zwangsläufig wirtschaftliche Bestrafung ethisch handelnder Akteure der Wirtschaft – umgekehrt wird. Bilanzierende mit einer positiven GWB sollen letztlich auch wirtschaftlich belohnt werden, etwa durch Bevorzugung bei öffentlichen Aufträgen oder niedrigere Steuersätze und Zinsen.

Obwohl die GWÖ erst im Jahr 2011 offensiv als Modell für eine zukunftsfähige Wirtschaft vorgestellt und seinerzeit nur von 15 Unternehmen praktiziert wurde, hat sie eine beeindruckend positive Resonanz erfahren, wenngleich der Teil „Rechtliche Anreize für Unternehmen mit GWB“ noch keineswegs politisch umgesetzt ist. Die Zahl von unterstützenden Unternehmen ist zum Beispiel von 15 auf über 2.300 angestiegen, wovon aktuell über 1000 Unternehmen, einige Gemeinden, Hochschulen und andere Organisationen bereits eine GWB erstellen. Das Modell hat nicht nur in ganz Europa, sondern inzwischen auch in sogenannten „Energiefeldern“ international Fuß gefasst – von Schweden bis Chile, von den USA bis Ghana. Auf politischer Ebene hat die GWÖ mit der GWB Eingang in den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierungen in Baden-Württemberg, Hessen und Bremen gefunden. Sie ist inzwischen ein wichtiges, positiv besetztes Thema bei der EU-Kommission hinsichtlich der Richtlinien für eine nichtfinanzielle Bilanzierung durch Großunternehmen in der EU. Der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich mit überwältigender Mehrheit für eine Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie ausgesprochen.

Inzwischen ist das Thema auch in der universitären Wissenschaft angekommen. An der Universität von Valencia hat sich ein Lehrstuhl für Gemeinwohl-Ökonomie etabliert. In Deutschland hat beispielsweise die Universität Bremen 2018 eine Studie für kleine und mittlere Unternehmen zur Erreichung der UN-Empfehlungen hinsichtlich der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development Goals – SDGs) erstellt. Dabei stellt die Studie die Wirkung einer Strategie nach den Grundsätzen der Gemeinwohl-Ökonomie mit der Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz unmissverständlich fest: „Der Ansatz der Gemeinwohlbilanz entspricht aus unserer Sicht dabei einem hohen Ambitionsniveau in der Umsetzung der SDGs“. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass mit der GWÖ endlich ein evolutionäres marktwirtschaftliches und praxistaugliches Modell entwickelt wurde, welches das über Jahrhunderte festgefahrene dogmatische Bild des „unfehlbaren freien Marktes“ überwindet und eine sinnhafte, „enkeltaugliche“ Neuausrichtung der Ökonomie, also mit Klima- und Umweltschutz, ermöglicht.

Während die GWÖ mit ihren neuartigen Bilanzierungsinstrumenten auf der Ebene der Unternehmen, Gemeinden und öffentlichen Institutionen ansetzt, ist der Green New Deal eine progressive Vision für eine Neuausrichtung der nationalen (beziehungsweise in unserem Kontext europäischen) Klima- Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dort, wo in den Wirtschaftswissenschaften die Grenze zwischen der Mikroökonomik und der Makroökonomik verläuft, befindet sich in etwa auch die Grenze zwischen den Ansatzpunkten und Adressaten von GWÖ und GNDE. Wohlgemerkt trennt diese Grenze nicht unterschiedliche normative Überzeugungen, sondern lediglich die Ebene der Adressaten und die Ausrichtung der Instrumente. Das Instrumentarium der GWÖ richtet sich, wie bereits erwähnt, auf private und öffentliche Wirtschaftsakteure. Die Gemeinwohlbilanz schafft einen neuen Bewertungsmaßstab für ökonomische Aktivität und versucht damit, die normative Reorientierung von Unternehmen und öffentlichen Körperschaften herbeizuführen. Der Green New Deal ist ein Programm für das Europäische System der Zentralbanken, öffentliche Entwicklungsbanken, Finanzaufsichtsbehörden, die Europäische Kommission und vor allem die nationalen Regierungen. Seine Schwerter sind neue Verordnungen, Richtlinien und Bundesgesetze, mit denen die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um gemeinwohlorientiertes Wirtschaften auf der Mikro-Ebene der individuellen Wirtschaftsakteure zu fördern und jedes gemeinwohlschädigende Handeln zu sanktionieren. In seinem Anspruch, ein ganzheitliches Reformprogramm für die europäische Klima- Wirtschafts- und Sozialpolitik zu sein, umfasst der Green New Deal Maßnahmen für nahezu alle Politikfelder – von der Fiskal- bis zur Agrarpolitik, von der Chip-Fabrik bis in den Kindergarten. Die zentralen Paradigmenwechsel, die durch die Umsetzung eines Green New Deals eingeleitet würden, lassen sich dennoch in einigen Worten skizzieren:

  • Staatliches Geld wird nicht länger als eine knappe Ressource angesehen. Es ist eine nicht zu leugnende Realität, dass Ausgaben des Staates weder durch Steuereinnahmen, noch durch das Wohlwollen von Kapitalmärkten begrenzt sind. Eine GNDE-Politik trägt diesem Umstand konsequent Rechnung. Sie bricht aus dem lähmenden Austeritätsparadigma der gegenwärtigen Europäischen Fiskalarchitektur aus und ermöglicht endlich großflächige und umfassende Investitionen in eine nachhaltige Infrastruktur (sei es im Bereich Mobilität, Energie, Digitalisierung, Bauen etc.)
  • Arbeitslosigkeit und Vermögensungleichheit sind keine notwendigen Folgen rationaler Marktprozesse. Sie sind das Ergebnis von Politikversagen. Eine GNDE-Politik beendet unfreiwillige Arbeitslosigkeit vom einen auf den anderen Tag durch die Einführung einer staatlichen Jobgarantie. Zudem sorgt eine staatliche Aus- und Weiterbildungsgarantie dafür, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die immer stärkerem Wandel unterworfene Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt anpassen können und nicht Gefahr laufen, durch den notwendigen Strukturwandel zu ewig Abgehängten zu werden.
  • Trotz wachsender Bemühungen durch grüne Labels und Zertifizierungen private Investitionen in nachhaltige Unternehmungen zu lenken, ist die zerstörerische Investitionstätigkeit in die fossile Industrie weiterhin ungebrochen. Eine GNDE-Politik beendet diese Fehlallokation von privatem Kapital durch eine rigorose Finanzmarktregulierung mit beispielsweise hohen Haircuts für nicht-nachhaltige Investitionen.
  • Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) sowie die Verordnungen und Richtlinien im Bereich Mobilität, Industrie, Wohnen, Digitales, Recht, Energie, Handel und Gesundheit werden konsequent anhand der Ziele des effektiven Klimaschutzes, der sozialen Gerechtigkeit und der demokratischen Teilhabe der EU-Bevölkerung novelliert. Konkreteres zu den einzelnen Politikbereichen ist den zahlreichen Policy Papers zu einem europäischen Green New Deal zu entnehmen, namentlich dem „Blueprint for Europe´s Just Transition“ aus dem Jahr 2019, der gerade von der Initiative „Mission Just Transition“ überarbeitet wird.

 

Wie anhand der vorangegangenen Ausführungen deutlich wird, bilden unserer Einschätzung nach GWÖ und GNDE auf ganz natürliche Weise eine Symbiose zwischen der dezentralen Transformation des Selbstverständnisses von Unternehmertum und Konsum (GWÖ) und der vertikalen Schaffung politischer Rahmenbedingungen und Anreize für ein nachhaltiges und sozial gerechtes Wirtschaften (GNDE). In diesem Sinne kann es nur förderlich sein, die beiden Ansätze weiter miteinander zu verzahnen und den Austausch zwischen ihren Fürsprecherinnen und Fürsprechern zu fördern.

In einigen Jahren wird man rückblickend erkennen, dass die GWÖ und der GNDE einen vergleichbaren Paradigmenwechsel für die Gesellschaft darstellen, wie das Zeitalter der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert zur Überwindung des Absolutismus. Selbstverständlich werden auch GWÖ und GNDE immer wieder in einzelnen Bereichen in Sackgassen oder in Umwege geraten. Die demokratische Verfassung der beiden Bewegungen  garantiert aber eine von der Mehrheit getragene erfolgreiche Entwicklung.

Fazit: Ja, GNDE und GWÖ können den Weg in eine gelingende Zukunft erfolgreich gemeinsam gehen!

 

 

 

 

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Felber, C. (2018): Gemeinwohl-Ökonomie. Piper: München.

Felber, C. (2017): Ethischer Welthandel. Deuticke: Wien.

Stiglitz, J. (2012): Der Preis der Ungleichheit. Siedler: München.

Adler, D., Wargan, P. und Prakash, S. (2019): Blueprint for Europe´s Just Transition. (https://report.gndforeurope.com/cms/wp-content/uploads/2020/01/Blueprint-for-Europes-Just-Transition-2nd-Ed.pdf)

Nersisyan, Y. und Wray, L.R. (2020): “Can we afford the Green New Deal?”, Journal of Post-Keynesian Economics.

Ehnts, D. und Höfgen, M. (2022): „Was ist Modern Monetary Theory?“, Perspektiven der Wirtschaftspolitik.

Ehnts, D. und Plattner, J. (2022): „Die Eurozone und die Weltwirtschaft – Geld und Ressourcen“, DIW Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 91(3), S. 51 – 70.

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